Montag, 10. Februar 2020

Looking for More – Finding ...?


So, hier kommt er jetzt – Mein letzter Post. Wie bitte? Es ist wirklich schon vorbei? Tja, meine Freunde, ich kann es auch kaum glauben, aber es ist tatsächlich time to say goodbye. Nach fünf aufregenden Monaten ist mein Auslandssemester in Nottingham vorbei, ich bin wieder zurück zuhause und der Reentry Shock ist bereits am Abklingen.
©memeshappen.com
                Während meines Auslandsaufenthalts war ich auf der Suche. Nach was genau, konnte ich nicht sagen – einfach nach Mehr. So entstand der Titel meines Blogs. Genauso diffus und schwer zu beschreiben wie meine „Suche“ ist auch was ich dann gefunden habe. Mal sehen, ob mir dieser allerletzte Post hilft, ein Ergebnis zu formulieren.
                Ich hab hier schon öfter über das geschrieben, was mein Auslandssemester bei mir bewirkt hat – wie sich meine Englisch-Kenntnisse, Problemlöse-Fähigkeiten oder interkulturelle Kompetenz verändert haben, zum Beispiel. Eine weitere Auswirkung hat die Studie Beyond Immediate Impact: Study Abroad for Global Engagement (SAGE) von Michael Paige et al. nachgewiesen. Und zwar engagieren sich Studenten nach einem Auslandsaufenthalt mehr auf globaler Ebene. Kategorien wie „gemeinnützige Tätigkeit“ haben Aufschluss über globales Engagement gegeben. Okay, ehemalige Auslandsstudenten engagieren sich also global – Aber tun andere Studenten das nicht auch? Tatsächlich sind Studierende mit Auslandserfahrung global engagierter als Studenten, die nicht im Ausland waren. Das haben Dianna Murphy et al. in ihrer Studie The Impact of Study Abroad on the Global Engagement of University Graduates gezeigt. Zur SAGE-Studie ergänzen sie außerdem noch, dass ehemalige Auslandsstudenten mehr international ausgerichteten Freizeitaktivitäten nachgehen.
                Noch bin ich nicht sozial engagierter als vor meinem Auslandssemester. Zum Beispiel mache ich genauso viel Freiwilligenarbeit wie zuvor. Ich sage „noch nicht“, weil ich mir tatsächlich vorgenommen habe, im nächsten Semester mehr ehrenamtlich tätig zu werden. Ob mich mein Auslandsstudium zu diesem Entschluss bewogen hat, kann ich nicht sagen. Aber wer weiß? Jedenfalls bin ich nach meiner Zeit in Nottingham nicht zu Robin Hood mutiert. Hach, was für ein Schenkelklopfer, oder?
Die Robin Hood Statue in Nottingham
                In anderer Hinsicht „engagiere“ ich mich aber mehr als vorher – Stichwort Umweltschutz. Ich weiß zwar nicht, ob Paige und Murphy das als globales Engagement sehen würden, aber da bin ich mir meiner eigenen Verantwortung bewusster. Weniger Palmöl und Plastik – Darauf hat mich nicht unbedingt mein Auslandsstudium an sich gebracht, sondern die Leute, die ich währenddessen kennengelernt habe. Von Kommilitonen, Freunden oder Mitbewohnern hört man, was andere Länder beim Umweltschutz anders/besser machen. Aber auch individuelle Meinungen und Lifestyles können inspirierend sein. Eine Freundin hat mir zum Beispiel erzählt, warum ich keinen Tiefkühl-Pangasius mehr kaufen sollte. Außerdem interessiere ich mich mehr fürs aktuelle Geschehen und Politik – in Deutschland, Großbritannien und auf der ganzen Welt. Dass meine englischen Freundinnen sich so sehr für die Labour-Partei eingesetzt haben und nach dem Wahlsieg der Tories am Boden zerstört waren, hat mich schwer beeindruckt. So hab ich meine Begeisterung für nachrichtliche Podcasts wie Beyond Today und The Inquiry entdeckt (neben weniger Anspruchsvollem wie My Dad Wrote A Porno).
©Cheezburger
Das soll kein Eigenlob sein, es ist eigentlich das Gegenteil. Das beeindruckende Interesse und Engagement von Leuten, die ich im Ausland kennengelernt habe, haben mir gezeigt, dass ich noch jede Menge aufzuholen habe. Mein Entschluss, so viel wie möglich auf Fleisch zu verzichten, kam mir wie ein krasser Schritt/Vorhaben vor. Die einstimmige Reaktion von zwei Freundinnen – „Das mache ich auch schon“ – hat mir gezeigt, dass das eigentlich längst überfällig war. Manchmal sind wir unserer Zeit einfach hinterher, ohne es zu merken. Neue Bekanntschaften und Ideen im Ausland können die Augen öffnen, was mal wieder zeigt, wie stark das letzte Semester mein Leben beeinflusst.
                Hui, das wurde gerade ziemlich schnell ziemlich deep – Schnell was Fröhliches hinterher: Ganz in Übereinstimmung mit Murphys Ergebnissen mache ich in meiner Freizeit mehr „Internationales“. Zum Beispiel schaue ich gerade das englische Love Island – Es hat ja niemand was von anspruchsvollen Aktivitäten gesagt. Mit Freunden vom Auslandssemester in Kontakt bleiben, Reisepläne schmieden und Besuche organisieren ist definitiv mein liebstes internationales Hobby. Ob ungesunde Mengen Schwarztee mit Milch trinken oder Scones backen wohl auch als internationale Freizeitaktivitäten durchgehen?
Der letzte Afternoon Tea – Da bekomme ich Sehnsucht nach England
                Wie nachhaltig beeindruckend ein Auslandsstudium sein kann, zeigt uns auch die SAGE-Studie. Die befragten Studenten haben das Gefühl, dass ihr Auslandsstudium den Verlauf ihres Lebens und ihre Berufswahl beeinflusst. Und mir geht‘s genauso. Nach einem Praktikum in England (vielleicht auch in einem anderen englischsprachigen Land) würde ich auch gern meinen Master im Ausland starten. Und später in einem anderen Land arbeiten? Warum nicht! Das Auslandssemester hat mich nochmal in meinen global orientierten Zukunftsplänen bestätigt.
©Know Your Meme
                So und jetzt fehlt nur noch eins: Vieeeelen Dank, dass ihr mich auf meiner „Suche“ begleitet habt! Dieser Blog ist mir total ans Herz gewachsen und oft ist mir erst durch ihn klar geworden, wie viel mir mein Auslandssemester gebracht hat und was ich alles gelernt habe. Gefunden habe ich vor allem tolle Freunde, habe mich noch mehr in die englische Sprache und Großbritannien verliebt, unbezahlbare Erfahrungen gemacht und Erinnerungen gesammelt, die für immer bleiben. Und – Achtung, schnulzig – auf meiner Suche hab ich auch was verloren, denn ein kleiner Teil meines Herzens wird immer in England bleiben. Ich kann es kaum erwarten, wieder zurück zu gehen. Euch wünsche ich nur das Beste für euer Auslandsstudium und bin gespannt, was ihr findet. Was es auch sei – Ich bin mir sicher, es wird unvergesslich.

Samstag, 8. Februar 2020

Tea & Tears


Hi, ich bin Celine and I – Oh my gosh, sorry! Ich bin gerade back aus meinem semester abroad in England und jetzt muss ich mich erst mal wieder umstellen, you know. – Keine  Sorge, sowas werdet ihr von mir natürlich nicht hören. Trotzdem steckt was Wahres drin. Erstens: Ich bin wieder da, Baby! Und zweitens: Sich nach einem Auslandsstudium wieder daheim einzuleben ist gar nicht so einfach. 
                Die Heimkehr finden so viele schwierig, dass das Phänomen sogar einen eigenen Namen hat! Reentry Shock oder Reverse Culture Shock beschreibt die (psychischen) Probleme, die viele Studierende nach ihrem Auslandsstudium haben. Wenn man sich nach längerer Abwesenheit wieder an die eigene Kultur anpassen muss, kann das nämlich emotionalen Stress auslösen. Eine Studie ("Reentry Issues upon Returning from Study Abroad Programs", Wielkiewicz & Turkowski) hat bei heimgekehrten Studenten unter anderem Probleme an der Uni, Depressionen, Angstzustände und Stress festgestellt. Außerdem sind die meisten Studierenden nach einem Auslandsaufenthalt ihrer eigenen Kultur gegenüber kritischer eingestellt als zuvor. Die Studie hat vor allem gezeigt, dass Studenten während und nach einem Auslandsstudium sehr viel mehr Alkohol trinken. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob letzteres so viel mit psychischen Problemen zu tun hat…
Das berühmt-berüchtigte "Studieren" im Ausland ©Geburtszeit.com
                Wie es bei mir emotionsmäßig aussieht? Ich hänge nicht an der Pulle und hab zum Glück weder Depressionen noch Angstzustände. Heimkehrer zeigen auch weniger extreme, aber trotzdem negative Emotionen, sie sind zum Beispiel leicht reizbar oder haben Stimmungsschwankungen. Klar, daheim gehen mir meine Eltern ab und zu auf die Nerven und ich bin mal launisch, aber das ist beides schon immer so gewesen. Ob mir die Uni und das Pensum stressiger als zuvor vorkommen, ist schwer zu sagen, da ich gerade Semesterferien habe (juhu!). Ich bin einfach froh, die englische Prüfungsphase und Essay-Deadlines hinter mir zu haben. Also fühle ich mich gerade sehr wohl und entspannt daheim.
                Trotzdem hab ich mich nach meiner Rückkehr letzte Woche immer mal wieder ein bisschen… komisch gefühlt. Kennt ihr das, wenn ihr manchmal einfach grundlos traurig seid?
©ME.ME
Das war so eine Mischung aus Überforderung und Verlorenheit. Ich hab nach meinem Auslandssemester vermisst, eine Aufgabe zu haben und genau zu wissen, was als nächstes kommt. Mein Gegenmittel bei negativen Gedanken? Ich erinnere mich an all das, was noch vor mir liegt und freue mich darauf. Zum Beispiel meine Freunde wiederzusehen, zu  verreisen und in eine neue WG zu ziehen. Gleichzeitig hilft es, einfach die kleinen Dinge im Moment zu genießen: keine Flipflops mehr in der Dusche tragen zu müssen, Auto zu fahren mit meiner Mutter auf dem Beifahrersitz (und Panik in ihrem Gesicht), mich ins eigene Bett zu kuscheln, in eine Butterbrezel zu beißen.
Manchmal sind wir nämlich auch einfach nur hangry. ©QuoteMaster.org
                Trotzdem vermisse ich natürlich viel aus meinem Auslandssemester. Zuerst einmal fehlen mir meine Freunde aus Nottingham, unsere gemeinsamen Unternehmungen und Reisen. Auch ganz vorne mit dabei: eine Teatime mit Scones und Carrot Cake! Ich will zwar beides bald selbst backen, aber falls das Ergebnis kein Desaster wird (unwahrscheinlich), dann wird es zumindest nicht genauso gut wie in England. Auf jeden Fall vermisse ich es total, nicht mehr die meiste Zeit Englisch zu sprechen. Ein paar Pubs um die Ecke wären auch nicht schlecht. Und schließlich trauere ich meinen Spaziergängen im Wollaton Park hinterher. Da können die heimischen Feldwege einfach nicht mithalten.
Der Rundweg um den See ist eins der Highlights im Wollaton Park
                Doch ein Reentry Shock bringt noch mehr als Sehnsucht und negative Emotionen mit sich. Nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland haben einige Studenten eine regelrechte (kulturelle) Identitätskrise. Ihre Wertvorstellungen unterscheiden sich von denen ihrer Heimatkultur, welche ihnen auch plötzlich langweilig vorkommt und sie kritisieren ihre eigene Regierung. Bei mir ist das alles halb so wild. Mein Auslandssemester hat mich zwar tatsächlich zu einem noch größeren Fan der englischen Kultur gemacht und mich davon überzeugt, dass wir Deutschen uns ein paar Dinge abschauen könnten. Ich habe aber nicht wirklich mehr an der deutschen Kultur, Regierung oder Werten auszusetzen als vorher. Und dass ich mich ab jetzt beim Aussteigen beim Busfahrer bedanke, ist ja noch lang keine Identitätskrise.
                Ein Auslandsaufenthalt gibt uns das Gefühl, dass uns die Welt offen steht und nur auf uns wartet. Kein Wunder, dass mir zum Beispiel meine Heimatstadt ein bisschen trostlos vorkam im Gegensatz zum lebendigen Nottingham und der Uni mit ihren tausenden Studenten. Eigentlich ist dieser Reentry Shock gar nicht so schlimm – Uns wird einfach klar, dass die Heimat nicht alles ist, sondern dass es noch mehr für uns gibt und woanders auch schön sein kann. Diese Erkenntnis kann natürlich angsteinflößend sein und uns total überfordern. Lasst euch aber von diesen negativen Gefühlen nicht runterziehen, sondern konzentriert euch auf die Möglichkeiten, die vor euch liegen. Wenn ich mal wieder schlechte Stimmung hab und mich die Sehnsucht packt, mach ich mir eine Tasse Yorkshire Tea – Fühlt sich fast so an, als wäre ich in England.

Donnerstag, 30. Januar 2020

Do it like the Scots


Den besten Teil meines Aufenthalts in Großbritannien habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben: eine Reise nach Schottland. Dieses Jahr hatte ich die stressigsten Weihnachts-„Ferien“ ever (Wer hat sich denn bitte das englische System ausgedacht, dass die Prüfungsvorbereitung auf die Feiertage fällt??) und einen Januar voller Essay-Deadlines und Klausuren. Als Belohnung habe ich mir endlich eine Reise nach Schottland gegönnt – Dieser Wunsch ging mir spätestens nicht mehr aus dem Kopf, seit ich angefangen hatte, Outlander anzusehen. 
*seufz* ©Paste Magazine
Zusammenfassend kann ich sagen: Edinburgh ist unglaublich schön, ich hatte ausgerechnet in Schottland Glück mit dem Wetter und Haggis schmeckt viel besser als gedacht! 
Die Victoria Street in Edinburgh
Haggis, Neeps and Tatties - Zutaten-Googlen auf eigene Gefahr
Highlands-Feeling beim Wandern auf Arthur's Seat
        Außerdem ist mir bei einer Stadttour etwas Erstaunliches klar geworden: Mein Auslandssemester hat dafür gesorgt, dass ich etwas mit den Schotten gemeinsam habe. Nein, ich bin nicht plötzlich besonders patriotisch geworden, habe keinen Akzent zum Dahinschmelzen und ich habe auch nicht meine Liebe zu Whisky entdeckt. Aber nachdem unser schottischer Stadtführer zum fünften Mal wiederholt hat, dass er und seine Landsleute vielleicht nicht besonders „clever“, dafür aber „very creative“ seien, habe ich mich wiedererkannt. Ich kann zwar schwer sagen, wie sich das Auslandssemester auf meine Cleverness ausgewirkt hat, aber ich bin auf jeden Fall kreativer und erfinderischer geworden.
          Das hat auch die Langzeitstudie „Evaluating the Study Abroad Experience Using the Framework of Rotter’s Social Learning Theory” von Mark McLeod et al. gezeigt. Die Studie hat die Auswirkung eines Auslandsstudiums auf die Persönlichkeit der Auslandsstudenten untersucht und sich dabei an Rotters Social Learning Theory orientiert. Laut dieser Theorie bestimmen zwei Faktoren das menschliche Verhalten: die Erwartung, belohnt zu werden, wenn wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten und wie erstrebenswert wir die jeweilige Belohnung finden. Die Social Learning Theory ordnet Menschen auf einer Skala zwischen sehr „intern“ und sehr „extern gesteuert“ ein. Für Internals ist alles, was ihnen passiert, eine Folge ihrer eigenen Handlungen. Das macht sie zu guten Problemlösern. Im Gegensatz dazu denken Externals, dass alles von äußeren Mächten, zum Beispiel dem Schicksal, bestimmt ist. Hier ein Beispiel:
Externals: "Oh man, immer hab ich so ein Pech!" vs. Internals: "Tja, ich hätte halt im Gehen nicht auf mein Handy schauen sollen." ©Pixabay
                McLeods Studie hat gezeigt, dass Studierende nach einem Auslandsaufenthalt mehr intern gesteuert sind und so besser Probleme lösen können. Das kann ich nur bestätigen. Ganz allein in einer komplett neuen Umgebung, fremden Kultur, ungewohnten Umständen und unangenehmen Situationen – Während eines Auslandsstudiums sind wir auf uns selbst angewiesen und müssen irgendwie allein klarkommen. Major Throwback zu meinem allerersten Blogpost: Damals habe ich davon erzählt, wie schon das Benutzen öffentlicher Transportmittel oder das Überqueren einer Straße im Ausland zum Abenteuer werden und einen Kulturschock auslösen kann. Wir müssen allein herausfinden, wie solche alltäglichen Dinge in der ungewohnten Umgebung funktionieren. Ich persönlich hatte außerdem noch mit grundlegenderen Situationen zu kämpfen, die nichts mit der fremden Kultur zu tun hatten. Stichwort Wäschewaschen… Dadurch verwöhnt, dass meine Mutter auch nach meinem Auszug noch meine Klamotten gewaschen hat, stand ich mit 21 Jahren (*peinlich*) zum ersten Mal allein vor einer Waschmaschine und war völlig planlos. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wie ehemals weiße Handtücher, die nach dem Waschen hellblau waren (schöner als vorher!), komme ich mittlerweile allerdings ganz gut zurecht. 
©Know Your Meme
                Dazu kam für mich und andere Erasmus-Studenten, die ich kennengelernt habe, dass bei einem oder maximal zwei Koffern Gepäck einfach vieles fehlt. Und für die paar Monate lohnt es sich oft nicht, solche fehlenden Dinge zu kaufen. So haben wir gelernt, mit relativ wenig auszukommen und zu improvisieren. Eine Glühweinflasche dient als Nudelholz für den Plätzchenteig, Zahnseide zwischen zwei Schranktüren wird zur Wäscheleine und aus einem Müllbeutel wird ein Regenüberzug für den Rucksack gebastelt.
Der perfekte Schutz vor dem berüchtigten walisischen drizzle
                Wie „intern gesteuert“ ich nach diesem Semester geworden bin? Für eine genaue Analyse bin ich zu wenig Hobbypsychologin. Ich merke aber definitiv, dass ich mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten habe und glaube daran, dass ich aktiv beeinflussen kann, was mir passiert und wie erfolgreich ich bin. Und die Moral von der Geschicht', willst du dein Selbstwertgefühl stärken, studier' im Ausland! (Oder so ähnlich…)
©Literary Hub

Mittwoch, 4. Dezember 2019

Quite an experience


2019 ist bald schon vorbei und auch das Ende meines Auslandssemesters ist so langsam in Sicht. Zeit, um auf all die wertvollen Erfahrungen zurückzublicken, die ich bisher in England gemacht habe. Beim Auslandsstudium lernen wir nämlich jede Menge – das Wenigste davon in der Uni! 
Da hätte mir Lynne Montrose sicher zugestimmt – Sie argumentierte in ihrem Artikel „International Study and Experiential Learning: The Academic Context“, dass erfahrungsbasiertes Lernen (experiential learning) für Auslandsstudien wichtig ist. Denn nach diesem Modell erzielen wir Lernende Bildungsergebnisse aus persönlichen Erfahrungen, die wir außerhalb der Uni machen. 
Natürlich passen nicht alle meine Erfahrungen in diesen Blog und schon gar nicht in einen einzigen Post. Also konzentriere ich mich mal nur auf ein paar Highlights der Dinge, die ich hier an der Uni nie gelernt hätte. 
Wie ich in meiner Freizeit englische Umgangssprache lerne und neue Sportarten wie Lacrosse oder Klettern ausprobiere, habe ich ja schon beschrieben. Wo lernt man aber zum Beispiel mehr über britische Kultur als in einem Pub? Englisches Bier schmeckt zwar gruselig, aber nirgends kann man abends gemütlicher zusammensitzen (oder günstiger essen).

Im "ältesten Pub Englands" wird der Pub-Besuch zum besonderen Erlebnis - Ye Olde Trip to Jerusalem befindet sich nämlich in Höhlen.

Apropos „typisch englisch“: Der Besuch im Fußballstadion war definitiv eins meiner Highlights! Obwohl es kalt war, ich keine Ahnung von Fußball habe und unsere Mannschaft verloren hat.


Natürlich ist es viel gemütlicher, ein Fußballspiel im Fernsehen auf dem Sofa anzuschauen. Und selbst bei dieser alltäglichen Erfahrung des englischen Fernsehens können wir jede Menge lernen! So bin ich durch Zufall auf The Great British Bake Off gestoßen. Nachdem ich mit Freundinnen spontan das diesjährige Finale beim Public Viewing angesehen hatten, waren wir uns einig: Es gibt nichts Britischeres. Und wer hätte gedacht, dass eine Backshow so nervenaufreibend sein kann? Als eine Kandidatin ihr Soufflé aus der Form holen wollte, kam ihr statt eines festen Auflaufs nur eine breiige Masse entgegen – Kollektives Aufkeuchen im Kinosaal!

Im Lauf einer Staffel backen britische Hobbybäcker an verschiedenen Stationen im ganzen Königreich. Dazu gibt's dann zum Beispiel die Geschichte von Shortbread. ©Love Productions

Wer mehr von dem Land sehen möchte, in dem ihr vorübergehend studiert, muss natürlich reisen. Dabei habe ich einige meiner besten Erfahrungen gemacht – Es gibt zum Beispiel wenig Schöneres als Punting in Cambridge, Wandern in Snowdonia oder sich beim Chatsworth House wie in Stolz und Vorurteil zu fühlen. 

Mr. Darcy ist mir leider nicht begegnet

Zum Kennenlernen einer Stadt oder Gegend gehört natürlich auch die Erfahrung dazu, das ortstypische Essen zu probieren!

Was ich in York gegessen habe? Natürlich Yorkshire Pudding (unten links)!

Ich habe ja schon ausführlich von den vielen Abscheulichkeiten berichtet, die die Engländer auftischen – die Erfahrung eines Full English Breakfast werde ich leider niemals vergessen können – aber an der Stelle muss ich noch betonen, dass es auch viel Leckeres gibt. Da Engländer immer und überall Crisps essen, gibt es natürlich eine riesige Auswahl! (Allerdings gibt es auch hier etwas … spezielle Geschmacksrichtungen wie „Rosenkohl“ oder „Trüffel“.) Am meisten begeistern mich aber britische Süßspeisen! Natürlich Scones und Shortbread, aber auch Kuchen wie Victoria Sponge Cake, Carrot Cake (!!!) und verschiedene kleine Tarts. Eine besondere Erfahrung war auch der Besuch einer Fudge Kitchen, wo das Karamell-Konfekt von Hand hergestellt wird.

Die flüssige Karamell-Masse wird so lange hin und her gestrichen und gerührt, bis sie fest wird

Von so vielen Leckereien umgeben, habe ich direkt Lust bekommen, selbst etwas Typisches zu backen! Und die Cake Society an meiner Uni hat’s möglich gemacht: Trotz meiner bescheidenen Backkünste (ich versage sogar bei Backmischungen), habe ich ein Blech goldbrauner Cheese Scones zustande gebracht.

Zu 90% Brittas Verdienst, die geduldig auch meine dümmsten Fragen beantwortet hat

Auch beim Feiern, vor allem mit britischen Freunden, habe ich viel dazugelernt. Wo sonst hört man von wichtigen Redewendungen wie „Down it!“/ „See it off!“ für „Auf ex!“ oder hat dank Uber das Superstar-Feeling, direkt vor dem Club aus einem riesigen Auto auszusteigen? Nach dem Ausgehen weiß ich auch endlich, warum Engländer nie Jacken über ihren freizügigen Outfits tragen: „You don’t need to pay for the cloakroom“ – Ein Argument, das ich als Schwäbin natürlich sehr gut nachvollziehen kann. Dazu kommt noch, dass sie nach einigen Drinks zwar kein richtiger Mantel, dafür aber ein sogenannter „beer coat“ vor der Kälte schützt.

Down it!

Beim Experiential Learning findet laut Lynn Montrose der eigentliche Lernprozess aber eher weniger während der Erfahrung selbst statt, sondern wenn wir uns im Nachhinein Gedanken darüber machen. Was wir von einer bestimmten Erfahrung denken beeinflusst nämlich auch unser zukünftiges Verhalten.

©Imgflip

Solche neuen und extremen Eindrücke gehen uns ja meist ganz von selbst noch lange im Kopf rum! Also, unternehmt so viel wie möglich außerhalb der Uni. Netflix, Bücher und Social Media sind auch nach eurem Auslandssemester noch da. Glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung. ;)

Montag, 11. November 2019

We need to talk

„Warum willst du ein Auslandssemester in England machen?“ Das war eine der Fragen, die mir im Erasmus-Bewerbungsgespräch an der Uni gestellt wurden. „Weil ich mein Englisch verbessern will“, fiel mir als Anglistik-Studentin als erstes ein. (Eigentlich als zweites, aber ich konnte ja schlecht sagen, dass einige junge, attraktive Royals an den Unis des Landes studieren.) Eine Fremdsprache zu verbessern ist auch für viele andere ein wichtiger Beweggrund, im Ausland zu studieren.
Und das zu Recht. Eine Studie („A Comparison of Spanish Second Language Acquisition in Two Different Learning Contexts: Study Abroad and the Domestic Classroom“, Segalowitz et al.) verglich die sprachlichen Lernerfolge (Second Language Learning) von US-amerikanischen Studierenden nach einem Auslandssemester in Spanien mit solchen, die am regulären Spanisch-Unterricht an der Heimatuni teilgenommen hatten. Die Studie zeigt folgendes: Ex-Auslandsstudenten sprechen besser und flüssiger als Daheimgebliebene. Die ehemaligen Auslandsstudenten konnten außerdem besser auf Spanisch erzählen und mussten weniger sprachliche Lücken ausgleichen. 
Das kann ich bestätigen: Nach zwei Monaten in England fällt es mir schon viel leichter, etwas zusammenhängend und schnell auf Englisch zu erzählen. Aber keine Ahnung, wie grammatikalisch korrekt das dann ist. So fanden auch Segalowitz et al. heraus: Was Grammatik und Aussprache betrifft, zeigte die Studie keine Unterschiede zwischen ehemaligen Auslandsstudenten und Daheimgebliebenen.
Ich lerne hier aber auf jeden Fall viel mehr neue Vokabeln, als es mir zuhause möglich wäre. Dabei ist meine Tandem-Partnerin eine riesige Hilfe – Ich kann euch diese Lernmethode wirklich nur empfehlen. Ihr habt so direkt einen einheimischen Freund gefunden, der eure Fehler verbessert statt über sie hinwegzuhören. Außerdem lernt ihr die Umgangssprache und Kultur kennen. Meine Tandem-Partnerin hat mir zum Beispiel vom North-South Divide in England erzählt, der sich schon in Kleinigkeiten wie der Aussprache von Scones äußert (Und je nach Aussprache und Ort wird man eventuell als posh bzw. als ungebildet abgetan.) 

Noch eine Kontroverse rund um Cream Tea (Tee und Scones mit Marmelade und Clotted Cream): Kommt zuerst Marmelade oder Clotted Cream auf den Scone?

Während wir in Deutschland vor allem amerikanisches Englisch hören (in Songs oder wenn wir eine TV-Serie suchten), lerne ich hier zur Abwechslung mal speziell britische Vokabeln. Das ist teilweise wie eine ganz neue Sprache zu lernen: Was bedeutet zum Beispiel “It’s tipping it down“? Keine Ahnung? Dass es sehr stark regnet. Und “It’s spitting”? Nieselregen. Die Briten sagen lads und mate und „You alright?“ statt „How are you?”. Außerdem hört ihr überall „Cheers!“, was gleich drei verschiedene Bedeutungen haben kann (ein Trinkspruch, „Danke“ oder „Tschüss“). Pullis sind jumpers, nicht sweaters und Sneakers sind trainers. Auch ganz wichtig: Chips sind nicht chips sondern crisps und Pommes sind nicht fries sondern chips. Und, hast du dir alles gemerkt?

©ME.ME

Was deutlich besser geworden ist, ist mein Sprachverständnis – nach jeder Menge unangenehmer Situationen. So habe ich vor einer Weile versucht, im Restaurant einen Burrito zusammenzustellen und musste die Bedienung bei jedem Bestandteil mindestens zweimal fragen, was das ist, bevor ich zumindest mal wusste, ob es sich um Fleisch oder Gemüse handelt. Die Briten machen es Ausländern mit ihren teils unverständlichen Dialekten wirklich  nicht leicht. Trotzdem verstehe ich mittlerweile sogar in einem lauten Pub mit einem Cider intus noch den nuschelnden Barmann. Dafür hat mich wahrscheinlich schon der Englisch-Unterricht in der Schule trainiert.

©visualstatements.net

Egal ob sich mein Englisch verbessert hat oder nicht – Ich bin zumindest selbstbewusster geworden, was das Sprechen angeht. Bevor mein Auslandssemester begonnen hat, musste ich ständig mit der Uni Nottingham telefonieren, um irgendwelche Orga-Probleme zu lösen. Der Horror für mich! Jetzt muss ich vor Telefonaten auf Englisch nicht mehr tief durchatmen, sondern mache es – wie meine Mutter sagen würde – auf dem linken Pobäckle.
Es kommt allerdings auf jeden von uns selbst an, ob und wie sehr wir unsere sprachlichen Fähigkeiten verbessern. Wir sind selbst dafür verantwortlich, die entsprechende Sprache häufig zu benutzen und nicht zu viel bei unserer Muttersprache zu bleiben. Das klingt jetzt so einfach und selbstverständlich, aber auf dem Gebiet habe ich in den letzten Tagen auch „versagt“: Erst kamen mich meine Eltern besuchen, dann bin ich am Wochenende mit deutschen Freundinnen nach Liverpool und Cambridge gefahren. Auch heute war ich nur in einer Vorlesung und habe anschließend den Deutsch-Unterricht von Briten im Rahmen eines Projekts besucht. Speaking of deutsche Blase…

Die Beatles-Statue in Liverpool Was auf dem Bild nicht zu sehen ist: Wie wir bei fünf Grad, Wind und Regen fast erfroren sind
Punting bei Sonnenschein in Cambridge  Fast wie Stocherkahn fahren daheim

Also, tun wir etwas für unsere Sprachkenntnisse! Sucht Kontakt zu internationalen oder einheimischen Studierenden, tragt in eurem Seminar etwas bei und verabschiedet euch vom Stubenhocker-Dasein. Sich einfach passiv mit der Sprache berieseln lassen hilft leider nicht so viel. Eine andere Möglichkeit zeigt uns eine Gruppe österreichischer Studenten, die ich hier kennengelernt habe: „Wir haben unter uns ausgemacht, dass wir immer nur auf Englisch miteinander sprechen und chatten.“ Das geht mir persönlich zwar ein bisschen zu weit, aber wem das gefällt – nur zu. Ich antworte den Österreichern allerdings konsequent auf Deutsch – einfach nur, um sie zu ärgern. ;)

Mittwoch, 30. Oktober 2019

„Is German beer really THAT good?”


Wahrscheinlich die Frage, die mir bisher am häufigsten in England gestellt wurde. Und meine Antwort war leider immer enttäuschend: Nämlich dass ich es nicht beurteilen kann, weil ich kein Bier-Fan bin. Dieses Beispiel zeigt uns allerdings eins: Bei einem Auslandsstudium kommen Studenten von überall aus der Welt zusammen, sind neugierig und interessieren sich für die fremden Kulturen.
So fragen mich meine chinesischen Mitbewohner zum Beispiel fast jedes Mal, wenn ich koche, was das sein soll, weil sie es noch nie gesehen haben (Allerdings würden auch Deutsche bei meinen Kochkünsten nicht wissen, was ich da zusammenbraue – Ich weiß es ja selbst nicht). Ich wiederum habe meine Mitbewohnerin aus Shanghai neulich gefragt, ob sie da gerade etwa Salat in einem Topf kocht?! (Es war übrigens Wirsing.)


Allein in meiner WG wohnen Studentinnen aus drei Nationen zusammen: China, USA und Deutschland. Ich war überrascht, wie viele andere internationale Studenten hier sind – Ja, sogar wie viele andere Deutsche hier sind! Jedes Mal, wenn ich denke, dass ich jetzt wirklich auch dem letzten deutschen Studierenden begegnet bin, treffe ich noch einen. 
©reddit.com

Viele verschiedene Kulturen plus die fremde Kultur, die uns ja sowieso schon umgibt – Das führt dazu, dass ein Auslandsstudium unsere interkulturelle Kompetenz (intercultural proficiency) verbessert. Das hat eine Studie („Student Intercultural Proficiency from Study Abroad Programs“, Clarke III et al.) bei US-amerikanischen Studenten nachgewiesen.
Aber was bedeutet eigentlich „interkulturelle Kompetenz“? Zusammengefasst: Die Fähigkeit macht es möglich, gut mit Mitgliedern anderer kultureller Gruppen umzugehen. Ganz schön vage. Zum Glück haben Clarke III et al. das Konzept in vier Aspekte aufgeteilt: international orientiertes Denken (global mindedness), interkulturelle Kommunikation (intercultural communication), Offenheit für kulturelle Vielfalt (openness to diversity) und interkulturelles Feingefühl (intercultural sensitivity).
Erst wenn wir uns für kulturelle Vielfalt öffnen, merken wir, dass auch unser eigenes Verhalten für andere seltsam sein kann. Ich war geschockt, als ich zum ersten Mal mit meiner Mitbewohnerin aus Hongkong am Esstisch saß. Lautes Schlürfen und Schmatzen ist für sie ganz natürlich. Für mich als Deutsche geht das gar nicht, dafür ist es für sie ein No-Go, sich am Tisch die Nase zu putzen – ups… Im Gespräch mit anderen Kulturen kann uns so auch etwas über uns selbst klar werden. Zum Beispiel würde ich auch bei relativ schlechtem Service zumindest ein bisschen Trinkgeld geben, während das für meine englischen Freunde nicht in Frage käme. 


Ein Aspekt, an dem ich auf jeden Fall in Zukunft arbeiten muss, ist kulturelles Feingefühl. Bei so vielen Unterschieden ist eben auch eine gewisse Vorsicht im Umgang miteinander geboten. Wir wollen ja niemanden beleidigen, wie ich das mit meinem Fettnäpfchen-Detektor natürlich direkt geschafft habe. In einer Vorlesung sollten wir zu zweit über Pressefreiheit diskutieren. Meine Nebensitzerin war Russin und hat meinen Kommentar zu Putins Propaganda nicht so gut aufgenommen…
Ein gutes Beispiel für den Aspekt der interkulturellen Kommunikation sind meine Chatverläufe mit englischen Freundinnen. Jede Nachricht von ihnen endet mit ein oder mehreren x (kisses) und ist mit mindestens einem Kosewort verziert: „Hey hun, you at home? xx“, „It’s all good, babes, will see you shortly x”, “Thanks beaut, you too xxx”. Und was soll ich sagen – Ich liebe es! Es gibt einem das Gefühl, gemocht zu werden und bringt auch schlechte Nachrichten besser rüber, wie hier:

[Ich:] Hey, are you going to the media and society lecture later?
[Kommilitonin:] That just finished, angel, it started at 1 xx. 
(Und das ist die Geschichte, wie ich gleich meine allererste Vorlesung hier verpasst habe.)

Also, denkt global! Jeder von uns sollte sich klarmachen, dass die eigene Kultur nicht die einzige ist und auch sicher nicht die einzig richtige. Nicht jeder ist wie du und sieht die Dinge genau wie du – Und das ist gut so! Sonst wäre es ja auch ein bisschen langweilig, oder hun? xxx

Montag, 28. Oktober 2019

Wir schaffen das – ganz allein!


Meint ihr, nach eurem Auslandssemester sagen euch eure Freunde daheim: „Du hast dich aber ganz schön verändert“? Ist euch vielleicht selbst schon eine Veränderung aufgefallen? Mir auf jeden Fall. Damit meine ich nicht, dass meine Haare gewachsen sind oder ich nach dem ganzen Regen hier Schwimmhäute zwischen den Fingern bekommen habe. Nein, ich spreche von meinem Verhalten und meinen Einstellungen. Was genau sich verändert hat? Kommt gleich, aber zuerst noch etwas vorab:
Habt ihr schon mal von Transformative Learning gehört? Nein? Spätestens wenn ihr ein Auslandssemester macht, werdet ihr – Nein, davon hören werdet ihr wahrscheinlich trotzdem nicht. Aber es wird euch ziemlich sicher passieren, wenn auch unbewusst.
Schauen wir uns mal unser Lieblingsbeispiel an: Lisa ist frisch von ihrem Gap Year zurückgekommen und erzählt jedem, der es nicht hören will, ganz begeistert: „Meine Zeit in Australia war echt lifechanging!“ So etwas habt ihr doch schon eher mal gehört, oder? Was Lisa hier beschreibt ist im Prinzip nichts anderes als eine Bestätigung von Mezirows Transformative Learning Theory. Eine neue und unbequeme Situation bringt uns zum Nachdenken über bisherige Ansichten und Verhaltensweisen und sorgt dafür, dass wir diese in Zukunft verändern. Eine Studie („An Investigation of Experiential and Transformative Learning in Study Abroad Programs“, Strange & Gibson) hat gezeigt, dass transformatives Lernen auch bei einem Auslandsstudium auftritt.


Wir sind nach einem Auslandssemester zum Beispiel meist viel weniger auf unsere eigene Kultur fixiert und sehen auch das Positive an fremden Kulturen. Ich habe in meinen letzten Posts aber schon genug darüber gesprochen, wie wichtig Offenheit gegenüber Neuem ist. Und die Veränderung beim transformativen Lernen muss sich auch gar nicht darauf beziehen, wie wir andere sehen. Bestimmte Situationen können nämlich dazu führen, dass sich verändert, wie wir uns selbst sehen.
Und genau das ist mir passiert. Wenn früher aus einer Sache, die ich gerne gemacht hätte oder einer Veranstaltung, zu der ich gerne gegangen wäre, doch nichts geworden ist, war der Grund oft folgender: Ich hatte niemanden gefunden, der mitmachen wollte und ich konnte „auf keinen Fall allein hingehen“! Auch neulich hat mir hier eine Freundin für ein Pub Quiz abgesagt und ich saß stattdessen abends allein  in meinem Zimmer (naja nicht ganz allein – Netflix sei Dank). Jetzt denke ich: Warum bin ich nicht einfach allein hingegangen?
An einer neuen Uni, in einer neuen Stadt, ja in einem neuen Land kennen wir (erst einmal) wenige Leute. Da kann es öfter vorkommen, dass wir mal allein dastehen. 

©ME.ME

Aber das ist kein Grund, alles abzusagen. Letzte Woche wollte niemand mit zum „Meet your Neighbour“-Treffen vom Wohnheim gehen. Statt zuhause zu bleiben, bin ich mutig allein hingegangen. Es standen zwar nur fünf Inder um einen Billardtisch herum und nach zwei unglaublich unangenehmen Minuten bin ich wieder gegangen – Aber ich war stolz auf mich!
Seit ich hier bin, traue ich mir selbst nämlich mehr zu und denke nicht mehr, dass ich immer jemanden dabei haben muss. Ich kann allein mit dem Flugzeug fliegen, allein Wäsche waschen (jaja, ich weiß, dass ich 21 bin), allein einen Tagesausflug nach Cambridge machen. Vielleicht werde ich ja auf der Busfahrt jemanden kennenlernen. So hat meine Freundin Rachael letztes Wochenende allein London erkundet und direkt eine neue Freundin gefunden, die sich auch die Stadt angeschaut hat. Und wenn ich niemanden kennenlerne? Dann schaffe ich es auch ganz allein!
Vorher war ein Sportabend in der Uni und ich habe nicht erst nachgefragt, wer alles mitkommt, bevor ich ein Ticket gebucht habe. Zwar bin ich mit Freundinnen hingegangen, doch allein wäre es auch kein Problem gewesen. Und das mag für andere selbstverständlich sein, für mich ist es aber eine große Veränderung, die das Auslandsstudium mit sich gebracht hat.

Ein Wild Child/Gossip Girl-Traum wird wahr: Lacrosse spielen beim Sportabend

Aber versteht mich nicht falsch: Ich sage nicht, dass wir alle zu Einzelgängern werden und niemanden um Hilfe bitten sollten. Aber habt mehr Vertrauen in euch selbst und darin, was ihr alles erreichen könnt, wenn ihr auf euch allein gestellt seid. Diese Erkenntnis können wir auch mit nach Hause nehmen – Geh doch einfach allein in den Indie-Kinofilm, der außer dir niemanden interessiert. Natürlich macht es mit anderen zusammen meist mehr Spaß, aber wenn es mal nicht anders geht, dann schafft ihr es auch ganz allein!

©memegenerator.net

Dienstag, 22. Oktober 2019

Raus aus der Komfortzone


In meinem letzten Post ging es um Freundschaften und wie sie uns das Einleben in eine fremde Kultur leichter oder sogar schwerer machen können. Aber was bedeutet das überhaupt – „Einleben in eine fremde Kultur“? Sicher nicht, dass ich nach einem Semester in England mit einem gefakten britischen Akzent nach Hause zurückkomme, ständig Tee trinke und in jedem zweiten Satz „Also in England war das ja ganz anders“ sage.

©Giga

Mit cultural immersion ist eher gemeint, dass wir aktiv in eine fremde Kultur eintauchen. Wir bemühen uns, diese kennenzulernen, zu verstehen und uns zu integrieren. Klar, dass wir uns das auch für unser Auslandsstudium wünschen. Wir wollen uns ja nicht sechs Monate oder länger wie komplette Außenseiter fühlen. Leider ist es aber nicht selbstverständlich, dass cultural immersion bei Auslandsstudenten auftritt. Es kann, muss aber nicht. Eine Studie (Students‘ Immersion Experiencesin Study Abroad, Goldoni) hat gezeigt, dass der Erfolg größtenteils von uns Auslandsstudierenden selbst abhängt.
Ich zeige mal an einem Beispiel, wie ihr es am besten nicht macht. Eine meiner Mitbewohnerinnen im Wohnheim kommt aus den USA. Sie sei sowieso schon wählerisch, was Essen angeht und hier in England würde einfach alles furchtbar schmecken, sagt sie. Englisches Essen hat ja wirklich keinen guten Ruf, aber im Supermarkt hat es ganz normale Lebensmittel wie überall anders auch. Meine Mitbewohnerin sucht allerdings stur nach ganz bestimmten (amerikanischen) Gewürzmischungen und Soßen und erwartet, im Supermarkt genau die gleichen Hot-Dog-Würstchen wie bei sich daheim zu finden. Sie isst oft bei McDonald’s, obwohl es nicht mal da wie in Amerika schmecken würde. Außerdem sucht sie hier nur Kontakt zu anderen US-Amerikanern und sitzt, wenn sie keine Uni hat, meistens in ihrem Zimmer. Als sie mir erzählt hat, dass es ihr hier bisher noch nicht so gut gefällt, war ich also nicht wirklich überrascht. 
Laut Goldoni kann cultural immersion nämlich daran scheitern, dass wir uns zu sehr auf unsere eigene Kultur fokussieren und so voreingenommen gegenüber der fremden Kultur sind. Als Folge ziehen wir uns dann gerne zu Auslandsstudierenden mit gleichem kulturellem Hintergrund zurück. 
Die Studie zeigt aber auch, wie cultural immersion gut funktionieren kann. Eine riesige Hilfe sind Freundschaften zu Einheimischen (Kommt uns das nicht bekannt vor?). Positive Auswirkungen hatten vor allem ein enges Verhältnis zur Gastfamilie (gibt es in meinem Fall ja nicht) und romantische Beziehungen (bisher hat mich leider noch kein perfekter Gentleman mit umwerfendem Akzent zum Tee in sein Herrenhaus eingeladen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt). Das hilft auch mir wirklich am meisten! Bei Freunden kann ich einfach nachfragen, wie hier die Dinge laufen, bevor ich in ein Fettnäpfchen trete, zum Beispiel „Wie viel Trinkgeld soll ich geben?“. Auch super für cultural immersion sollen Reisen, auf denen wir das Land noch besser kennenlernen, und Hobbies sein.

Unterwegs auf der berühmten Canal Street in Manchester

Seid generell immer offen und bereit, neue Dinge auszuprobieren. Ich habe mir zum Beispiel vorgenommen, jedes typisch englische Essen zu testen – egal, wie eklig.

Ja, ich habe auch Black Pudding gegessen. Es war besser als gedacht!

Englisches Essen hat auch gute Seiten: Afternoon Tea mit Faye

Außerdem versuche ich, nicht krampfhaft an der deutschen Kultur festzuhalten und auf Gewohntes zu verzichten. Mein einziger Rückfall: Brezeln von Lidl. Und ja, ich bin eine Wiederholungstäterin. Aber hey, immerhin hab ich’s geschafft, das German Rye Bread wieder zurückzulegen.


Total hilfreich fand ich es auch, mich einfach mal vorab im Internet ein bisschen schlau zu machen. Was sind kulturelle Besonderheiten des Landes? Wie begrüße ich wen? Was sollte ich unbedingt vermeiden? So ist in Großbritannien zum Beispiel Höflichkeit extrem wichtig. Du solltest wirklich immer please und thank you sagen – gerne auch mehrmals. Und natürlich sorry – egal, ob du jemanden nur ganz leicht auf der Straße angerempelt hast. Wenn ich einem Engländer auf den Fuß treten würde, würde er sich entschuldigen! Außerdem habe ich es mir mittlerweile angewöhnt, auf eine Entschuldigung auch mit einem sorry zu antworten – Man weiß ja nie. In England ist natürlich auch das Schlange stehen unumgänglich. Queues sind überall und wer sich vordrängelt, gilt als sehr unhöflich.

Sogar an der Bushaltestelle!

Übrigens oute ich mich mit meiner Kleidung jeden Tag als Ausländerin: Im Gegensatz zu den Briten laufe ich bei zehn Grad nicht im T-Shirt sondern mit langem Mantel und Schal herum. Irgendwo muss die cultural immersion ja auch ihre Grenzen haben – Dafür ist mir meine Gesundheit einfach zu kostbar.