Dienstag, 15. Oktober 2019

Let's be friends


In der Grundschule war das noch so einfach: „Willst du auch ein Bonbon?“ und schon sind wir die besten Freunde. Selbst als Ersti an der Uni ist Freunde finden leicht gemacht: Die Situation ist für alle neu, jeder möchte neue Leute kennenlernen und etwas unternehmen. Auch die Uni hilft mit Kennenlern-Veranstaltungen wie von der Fachschaft organisierte Kneipentouren. 
Bei einem Auslandssemester fangen wir wieder an einer neuen Uni an, sogar in einem neuen Land! Und was wünschen wir uns bei so einem schweren, aufregenden Neubeginn? Freunde, mit denen wir uns austauschen, das Land erkunden, uns ausheulen können – Freunde, mit denen wir in der Fremde zusammen weniger allein sind. 
„Keine Sorge, du wirst schon Freunde finden, es gibt so viele andere Austauschstudenten!“ So oder so ähnlich hatte ich das vor meiner Abreise oft zu hören bekommen. Und was soll ich sagen? Es stimmt! Schon vor meiner Ankunft war ich in einer WhatsApp-Gruppe mit zwei anderen Studentinnen von meiner Heimatuni und habe in England auch deren und meine eigenen Wohnheim-Mitbewohner schnell kennengelernt. Alles Auslandsstudierende – und genau da liegt das Problem. 
Eine Langzeitstudie („Choose Your (International) Contacts Wisely: A Multilevel Analysis on the Impact of Intergroup ContactWhile Living Abroad”, Geeraert et al.) untersuchte den Einfluss sozialer Kontakte von Auslandsstudierenden auf ihr Einleben in die neue Kultur (cultural adjustment), Stress und ihre Einstellungen zu bestimmten kulturellen Gruppen (intergroup affect). Die Studie baut unter anderem auf Allports Contact Hypothesis auf: Viel positiver Kontakt zu Mitgliedern anderer Gruppen bedeutet weniger Vorurteile gegenüber diesen Gruppen. Die Studie zeigt, dass Freundschaften – egal ob mit co-nationals, host nationals oder other nationals – am Anfang für weniger Stress sorgen und uns das Einleben leichter machen. 
Soweit so gut – und so wahr. Ich habe viele nette Leute aus den verschiedensten Ländern kennengelernt – unter anderem aus den USA, Spanien, Dänemark, Chile, und vor allem aus Deutschland (Warum haben wir uns in Tübingen eigentlich noch nie getroffen?). Mit ihnen war ich beim Mittagessen, abends im Pub, neue Sportarten ausprobieren, in Nottingham und auf Wochenendtrips. Auch bei bürokratischen oder kulturellen Stresssituationen fühle ich mich nicht allein. Und dafür bin ich total dankbar.

Ich aka Catwoman in schwindelerregender Höhe bei einer Climbing Taster-Session

Im Snowdonia Nationalpark in Wales mit Britta aus Deutschland und Sabrina aus Dänemark

Ist ja auch klar: In unserer „deutschen Blase“ fühlen wir uns geborgen. Aber vielleicht sollten wir nicht nur beim Vertrauten bleiben – Wir suchen ja schließlich nach mehr. Laut der Studie von Geeraert et al. macht es uns zu viel Kontakt zu co-nationals mit zunehmender Aufenthaltsdauer nämlich schwerer, uns stressfrei im Ausland einzuleben. Im Gegensatz dazu helfen uns Freundschaften zu Einheimischen und sorgen für weniger Vorurteile ihnen gegenüber. 
Für viele Studenten – auch für mich – kommt noch dazu, dass wir unter anderem im Ausland sind, um unsere Sprachkenntnisse zu verbessern. Dafür sollte ich auch außerhalb der Uni hauptsächlich Englisch mit Muttersprachlern sprechen.
Freundschaft mit Einheimischen schließen? Das kann doch nicht so schwer sein. Tja, ist es aber für mich doch. Die einzigen von der Uni organisierten Veranstaltungen sind dazu da, um andere internationale Studenten kennenzulernen, z.B. ein „International Pub Crawl“. Außerdem werden wir Auslandsstudenten hier im Wohnheim nur mit anderen Ausländern in eine WG gesteckt. (Da gefällt mir das Tübinger Modell des Durchmischens anhand einer Quote viel besser.) 

Das Wohnheim, in dem ich mit anderen internationalen Studenten lebe

Darüber hinaus sind die Studierenden in meinen Fortgeschrittenen-Kursen seit fast drei Jahren in Nottingham und fast fertig mit ihrem Studium – Sie haben schon einen festen Freundeskreis und sind nicht besonders wild darauf, neue Kontakte zu knüpfen. Dagegen sind die Engländer auf Freundschaftssuche, die an Kennenlern-Treffen teilnehmen, Erstis – 18 Jahre alt und frisch von der Schule. Währenddessen sind die meisten anderen Auslandsstudenten ungefähr so alt wie ich, 21. Neben dem Altersunterschied suchen die meisten Erstis Freunde fürs ganze Studium und nicht nur für ein Semester. Von einem weiteren Problem erzählte mir eine Niederländerin, die jetzt seit fünf Semestern in Nottingham studiert: „Als ich hier anfing, hab ich mich total allein gefühlt. Die meisten meiner englischen Kommilitonen kannten schon andere Studenten aus ihrer Heimatstadt und ich hab keinen Anschluss gefunden.“
Mittlerweile hat sie allerdings einen großen Freundeskreis – alles Briten. Und auch ich habe trotz Hindernisse ein paar (wenige) Engländer kennengelernt. Wie das? Generell gilt: Immer offen und mutig sein. Wartet nicht darauf, dass euch jemand anspricht, sondern traut euch einfach selbst. Informiert euch mal über Vereine und Studentenverbände (an englischen Unis die Societies), da haben viele Unis ein großes Angebot. Ich treffe mich jetzt außerdem jede Woche mit meiner Sprach-Tandempartnerin, die die Uni mir vermittelt hat. 

Spaziergang in Wollaton Park mit Britta und Emily aus (jetzt kommt's) England (!)

Zum Abschluss noch eine kurze Geschichte über Einsamkeit allgemein: Letzen Freitagabend war ich mit einer Freundin im Pub verabredet. Sie sagte mir leider ab und auch sonst hatte niemand Zeit. So saß ich dann traurig in meinem Zimmer. „Wir können telefonieren?“, schlug meine beste Freundin von daheim vor – Vier Stunden Facetimen haben meinen Abend gerettet. Also, wenn ihr euch mal im Ausland total allein und ungeliebt fühlt, greift zum Telefon.
Und erinnert euch daran, wer zuhause alles auf euch wartet.

©sarcasm_only via Instagram

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