Dienstag, 22. Oktober 2019

Raus aus der Komfortzone


In meinem letzten Post ging es um Freundschaften und wie sie uns das Einleben in eine fremde Kultur leichter oder sogar schwerer machen können. Aber was bedeutet das überhaupt – „Einleben in eine fremde Kultur“? Sicher nicht, dass ich nach einem Semester in England mit einem gefakten britischen Akzent nach Hause zurückkomme, ständig Tee trinke und in jedem zweiten Satz „Also in England war das ja ganz anders“ sage.

©Giga

Mit cultural immersion ist eher gemeint, dass wir aktiv in eine fremde Kultur eintauchen. Wir bemühen uns, diese kennenzulernen, zu verstehen und uns zu integrieren. Klar, dass wir uns das auch für unser Auslandsstudium wünschen. Wir wollen uns ja nicht sechs Monate oder länger wie komplette Außenseiter fühlen. Leider ist es aber nicht selbstverständlich, dass cultural immersion bei Auslandsstudenten auftritt. Es kann, muss aber nicht. Eine Studie (Students‘ Immersion Experiencesin Study Abroad, Goldoni) hat gezeigt, dass der Erfolg größtenteils von uns Auslandsstudierenden selbst abhängt.
Ich zeige mal an einem Beispiel, wie ihr es am besten nicht macht. Eine meiner Mitbewohnerinnen im Wohnheim kommt aus den USA. Sie sei sowieso schon wählerisch, was Essen angeht und hier in England würde einfach alles furchtbar schmecken, sagt sie. Englisches Essen hat ja wirklich keinen guten Ruf, aber im Supermarkt hat es ganz normale Lebensmittel wie überall anders auch. Meine Mitbewohnerin sucht allerdings stur nach ganz bestimmten (amerikanischen) Gewürzmischungen und Soßen und erwartet, im Supermarkt genau die gleichen Hot-Dog-Würstchen wie bei sich daheim zu finden. Sie isst oft bei McDonald’s, obwohl es nicht mal da wie in Amerika schmecken würde. Außerdem sucht sie hier nur Kontakt zu anderen US-Amerikanern und sitzt, wenn sie keine Uni hat, meistens in ihrem Zimmer. Als sie mir erzählt hat, dass es ihr hier bisher noch nicht so gut gefällt, war ich also nicht wirklich überrascht. 
Laut Goldoni kann cultural immersion nämlich daran scheitern, dass wir uns zu sehr auf unsere eigene Kultur fokussieren und so voreingenommen gegenüber der fremden Kultur sind. Als Folge ziehen wir uns dann gerne zu Auslandsstudierenden mit gleichem kulturellem Hintergrund zurück. 
Die Studie zeigt aber auch, wie cultural immersion gut funktionieren kann. Eine riesige Hilfe sind Freundschaften zu Einheimischen (Kommt uns das nicht bekannt vor?). Positive Auswirkungen hatten vor allem ein enges Verhältnis zur Gastfamilie (gibt es in meinem Fall ja nicht) und romantische Beziehungen (bisher hat mich leider noch kein perfekter Gentleman mit umwerfendem Akzent zum Tee in sein Herrenhaus eingeladen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt). Das hilft auch mir wirklich am meisten! Bei Freunden kann ich einfach nachfragen, wie hier die Dinge laufen, bevor ich in ein Fettnäpfchen trete, zum Beispiel „Wie viel Trinkgeld soll ich geben?“. Auch super für cultural immersion sollen Reisen, auf denen wir das Land noch besser kennenlernen, und Hobbies sein.

Unterwegs auf der berühmten Canal Street in Manchester

Seid generell immer offen und bereit, neue Dinge auszuprobieren. Ich habe mir zum Beispiel vorgenommen, jedes typisch englische Essen zu testen – egal, wie eklig.

Ja, ich habe auch Black Pudding gegessen. Es war besser als gedacht!

Englisches Essen hat auch gute Seiten: Afternoon Tea mit Faye

Außerdem versuche ich, nicht krampfhaft an der deutschen Kultur festzuhalten und auf Gewohntes zu verzichten. Mein einziger Rückfall: Brezeln von Lidl. Und ja, ich bin eine Wiederholungstäterin. Aber hey, immerhin hab ich’s geschafft, das German Rye Bread wieder zurückzulegen.


Total hilfreich fand ich es auch, mich einfach mal vorab im Internet ein bisschen schlau zu machen. Was sind kulturelle Besonderheiten des Landes? Wie begrüße ich wen? Was sollte ich unbedingt vermeiden? So ist in Großbritannien zum Beispiel Höflichkeit extrem wichtig. Du solltest wirklich immer please und thank you sagen – gerne auch mehrmals. Und natürlich sorry – egal, ob du jemanden nur ganz leicht auf der Straße angerempelt hast. Wenn ich einem Engländer auf den Fuß treten würde, würde er sich entschuldigen! Außerdem habe ich es mir mittlerweile angewöhnt, auf eine Entschuldigung auch mit einem sorry zu antworten – Man weiß ja nie. In England ist natürlich auch das Schlange stehen unumgänglich. Queues sind überall und wer sich vordrängelt, gilt als sehr unhöflich.

Sogar an der Bushaltestelle!

Übrigens oute ich mich mit meiner Kleidung jeden Tag als Ausländerin: Im Gegensatz zu den Briten laufe ich bei zehn Grad nicht im T-Shirt sondern mit langem Mantel und Schal herum. Irgendwo muss die cultural immersion ja auch ihre Grenzen haben – Dafür ist mir meine Gesundheit einfach zu kostbar.

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